Wer genau ist linksradikal?

Genau genommen: Wer genau wurde als linksradikal bezeichnet? Am Beispiel eines Artikels über die Abschiedsrede von Hans Georg Maaßen kann man das schön sezieren.

Unter der Überschrift „„Ich bin seit 30 Jahren CDU-Mitglied. Ich bleibe das““ berichtet die WELT über die politische Orientierung von Hans Georg Maaßen. Zwei Zitate springen dabei ins Auge. Das erste stammt aus der Zusammenfassung:

Hans-Georg Maaßen […] bezeichnete die SPD als linksradikal.

Das zweite folgt im Langtext des Artikels:

Maaßen hatte in einer Rede von „linksradikalen Kräften in der SPD“ gesprochen

Siehst Du den Unterschied?

Die WELT-Redaktion hat hier Herrn Maaßen unterstellt, über die SPD als Ganzes zu sprechen (und die SPD als Ganzes ist sicher nicht linksradikal) anstatt seine Einschränkung auf „linksradikalen Kräfte in der SPD“ wiederzugeben. Damit hat die WELT Herrn Maaßen eine sachlich inkorrekte Aussage in den Mund gelegt.

Dass es in der ganzen SPD überhaupt gar keine linksradikalen Kräfte gibt, ist sehr unwahrscheinlich. Immerhin ist „linksradikal“ noch gemässigter als „linksextrem“. Das ursprüngliche Fragment steht also in einer Grauzone: Es ist zunächst plausibel, aber weder belegbar noch widerlegbar. Fragmente mit dieser Eigenschaft sind unter Politikern beliebte Stilmittel, um Reden zu halten die jeden ansprechen.

Um im Beispiel zu bleiben: Wer mit der SPD sympathisiert, könnte sich denken dass es überall linksradikale Kräfte gibt, das ist also nicht der Rede wert. Wer die SPD nicht mag, könnte sich denken, dass die linksradikalen Kräfte ein riesiges Problem sind. Es bleibt alles im Auge des Betrachters. Nur wenn der Betrachter dem Sprecher ohnehin nicht vertraut geht der Schuss nach hinten los.

Weiterführend: Die Unterscheidung zwischen einem Teil und dem Ganzen taucht auch als „pars pro toto“ und als „totum pro parte“ auf.